Dies ist eine Leseprobe aus dem Roman »Winterregen« von Robin, den du in voller Länge im Story-Bereich auf der Seite www.kapuze-aufsetzen.net lesen kannst.

»Wie viel Zeit haben wir noch, bis der Bus fährt?« hörte ich Kevin sagen, als wir uns in Bewegung setzten.

Ich schob den Ärmel meiner Jacke zurück und sah auf meine Armbanduhr.

»Genügend«, antwortete ich nur.

Immer noch hatte ich das Gefühl, dass jedes unserer Worte bis hinauf hinter die Fenster der Klinik zu hören war und ebenso wie das Knirschen unserer Schuhsohlen auf dem Kiesweg die Stille unangemessen störte. Zögerlich ließ ich meinen Blick über die Umgebung wandern. Dichter Nebel verhüllte die Landschaft um uns herum, so dass die Sicht auf zwanzig oder dreißig Meter beschränkt war. Die Wiesen waren über und über mit Reif bedeckt. Als das Klinikgebäude hinter uns im Nebel verschwunden war und plötzlich einige kahle Bäume schemenhaft vor uns auftauchten, wäre ich vor Schreck beinahe zusammengezuckt. Hastig zog ich mir die Kapuze meines Sweatshirts über den Kopf. Nicht wegen der Kälte, sondern um mich vor dieser unheimlichen Atmosphäre abzuschirmen. Den Blick starr auf den Boden gerichtet, um nicht über irgendetwas zu stolpern, die Sicht nach rechts und links durch die Kapuze eingeschränkt, trottete ich still neben Kevin her. Als ich nach einer Weile den Blick in seine Richtung wandte, bemerkte ich, dass auch er die Kapuze seiner Jacke über den Kopf gezogen hatte. Ich fragte mich, ob ihm diese genau wie mir ein Gefühl von Schutz und Sicherheit vermittelte, oder ob ihm einfach nur kalt war. Mit gesenktem Kopf setzte er einen Schritt vor den anderen, die Hände tief in den Jackentaschen. Sein Atem kondensierte zu kleinen Wölkchen. Er bemerkte überhaupt nicht, dass ich ihn ansah.

Ich fragte mich, worüber er gerade nachdachte und wie er sich wohl fühlte. Am vergangenen Nachmittag hatte er noch einmal lange mit Enrico telefoniert. Er hatte zwar kaum darüber geredet, was er alles mit ihm besprochen hatte, aber ich hatte ihm danach deutlich anmerken können, dass er sich auf das Wiedersehen richtig freute. Inzwischen schien diese Vorfreude aber in so etwas wie Unsicherheit oder Anspannung umgeschlagen zu sein. Jedenfalls schien er es im Moment vorzuziehen, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Endlich tauchten die ersten Häuser von Bad Neuheim vor uns auf. Ich hatte das Gefühl, dass wir für den Weg an diesem Morgen viel länger gebraucht hatten also sonst. Inzwischen war es etwas heller geworden und auch das Leben schien langsam Einzug in die Umgebung zu halten. In einer kleinen Bäckerei brannten die Neonröhren an der Decke. Durch das Schaufenster konnte man deutlich die Verkäuferin erkennen, die einer frühen Kundin gerade eine Tüte mit Gebäck über die Theke reichte. Nur ein paar Momente später tauchte ein Radfahrer auf, der in Schal und Mütze gehüllt sein Rad vor der Ladentüre abstellte, um dann ebenfalls den Laden zu betreten. Die Türglocke war bis zu uns herüber auf die andere Straßenseite zu hören..

Schließlich erreichten wir den Ortsplatz und setzten uns nebeneinander auf die Bank des Buswartehäuschens. Die Konstruktion aus Plexiglas und Metall sah so aus, als wäre sie erst vor ein paar Monaten hier aufgestellt worden. Trotzdem waren die Scheiben bereits mit einigen Schmierereien und tiefen Kratzern verunziert. Sicher warteten hier unter der Woche Schüler aus Bad Neuheim auf den Bus, der sie in die nächstgrößere Stadt brachte, wo es neben dem Bahnhof, der an diesem Tag unser nächstes Ziel sein würde, wahrscheinlich auch ein Gymnasium oder eine Realschule gab. Heute am Samstag saßen wir ganz alleine hier. Auf der Straße vor uns war nicht besonders viel Verkehr und auf dem Ortsplatz ließen sich ebenfalls nur vereinzelt Passanten blicken.

Unser beider Schweigen setzte sich fort, während wir auf den Bus warteten. Jedes Mal, wenn ich mich zu Kevin umdrehte, versperrte mir seine Kapuze den Blick in sein Gesicht. Fast hatte ich den Eindruck, als wollte er sich unter ihr vor mir verstecken. Entweder sah ich nur seine Nasenspitze oder er hatte den Kopf ganz von mir abgewandt. Ich fragte mich, ob er da nur nach dem Bus Ausschau hielt oder ob er meinem Blick ganz bewusst auswich. Es war schwer zu deuten, was ihn im vorging. Vielleicht hatte er doch mehr Angst vor dem, was daheim auf ihn zukommen würde, als er mir oder sogar sich selbst eingestehen wollte. Ich konnte nur hoffen, dass das Tageslicht seine Laune aufhellen würde.


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